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RKH-Gelände

Lebenswertes Gießen e. V. – RKH-Gelände Stellungnahme 15.05.2015

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Unsere Ausführungen zum:

BEBAUUNGSPLAN GI 01/39 „Gleisdreieck Aulweg“

Offenlage des Bebauungsplanes gem. § 3 Abs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 2 Nr. 2 Baugesetzbuch (BauGB)
vom 15.04. bis einschließlich 15.05.2015

im Stadtplanungsamt Gießen

Vorbemerkung:

Lebenswertes Gießen e.V. begrüßt grundsätzlich, dass das Gebiet „Gleisdreieck Aulweg“ städtebaulich als Wohngebiet entwickelt werden soll. In der vorliegenden Planung gibt es jedoch ganz wesentliche Kritikpunkte, die im Folgenden erläutert werden.

Anregungen / Kritik / Einwände:

 

1.     Verdichtung

Die geplanten Gebäude mit ca. 140 – 160 Wohnungen zuzüglich Parkhaus stellen ein hohes Maß an Verdich­tung einer bisher wenig bebauten Fläche dar. Dies wirkt sich – auch im nicht zu leugnenden Zusammenhang mit der gerade erst erfolgten und von der Planungsdezernentin selbst als „Fehler“ bezeichneten (Gießener Allgemeine 26.11.2014) höchstverdichteten Bebauung gegenüber auf dem ehemaligen Heyligenstaedt-Parkplatz – negativ in folgenden Bereichen aus:

Klima / Begrünung

Laut Klimafunktionskarte der Stadt Gießen handelt es sich beim „Gleisdreieck Aulweg“ um eine Fläche mit „hoher Empfindlichkeit gegenüber Nutzungsintensivierung“. Demzufolge soll hier „keine weitere Verdich­tung“ stattfinden; der „Erhalt aller Freiflächen“ wird empfohlen. Selbst in der nur in schlechter Auflösung zur Verfügung stehenden Online-Version erkennt man auf dem Gleisdreieck die Kennzeichnung als „Einwirk­bereich der Kaltluftströmung“.

Zu dieser Ansicht gelangt auch die Stellungnahme des Umweltamtes der Stadt Gießen vom 28.07.2014, in der explizit empfohlen wird, eine Randbebauung zu vermeiden, die Bauhöhen gering zu halten und die Schadstoffemissionen zu reduzieren. Die vorgesehene Art der Bebauung wirke als Barriere für den Kalt­luftstrom.

Der Verein Lebenswertes Gießen e.V. kritisiert aufs Schärfste, dass diese Stellungnahme nicht früher veröffentlicht wurde, und behält sich vor zu prüfen, ob hier ein Verfahrensfehler vorliegt. Das Parlament hätte ganz anders über diesen Bebauungsplan abstimmen können, hätte es von dieser Einschätzung des Umweltamtes Kenntnis gehabt.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Die Höhen der Neubauten müssen um ein Geschoss reduziert und die Lücken zwischen den Gebäuden erheblich verbreitert werden, um einen stärkeren Luftaustausch zu ermöglichen.

Angeblich werden diese genannten Beeinträchtigungen der Kaltluftströmung zum Teil aufgewogen durch die Begrünung des Innenbereiches des Geländes. Hier hat der Verein Lebenswertes Gießen e.V. große Bedenken, ob tatsächlich ausreichend gärtnerisch angelegte Flächen entstehen werden. Schließlich hält man sich im Bebauungsplan die Hintertür der 100prozentigen Anrechnung der über 60% hinausgehenden Dachbegrünung auf die vorgeschriebenen Grünflächen offen. Außerdem lässt sich die Umsetzung der Begrünung schlecht nachvollziehen, da im Plan keinerlei Grünflächen eingetragen sind.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Nach Fertigstellung der Anlage soll eine erneute Begehung mit den Bürgern stattfinden, damit sie sich von der plangerechten Ausführung überzeugen können.

Im Bebauungsplan sind 5 Linden entlang des Aulwegs zum Erhalt festgesetzt. Hierzu die Begründung Kap. 7.6.1: „…wird der …geplante Ausbau des Aulwegs durch eine Erweiterung der öffentlichen Verkehrsfläche um einen bis zu 2,00 m tiefen Streifen planungsrechtlich gesichert…“. Auch auf dem Plan sind einige dieser Linden unmittelbar in der gelben Verkehrserweiterungsfläche eingezeichnet, was dem Ziel des Erhalts der Bäume wiederspricht.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Die zum Erhalt festgesetzten Bäume müssen tatsächlich erhalten werden. Es ist ein Unding, wenn im Nachhinein erst festgestellt wird, dass die Ziele der Planung nicht eingehalten werden können (vgl. zum Erhalt festgesetzter, völlig gesunder Kirschbaum auf städtischer Fläche angrenzend an das Heyligenstaedt-Gelände, der nach erfolgter Bebauung die Nutzer der neuen Wohnungen störte und deshalb gefällt wurde).

Im Plan ist die angekündigte Unterteilung von zwei großen Gebäuden in je zwei kleinere mit einer ein­geschossigen Verbindung nicht dargestellt.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Die Unterteilung der Gebäude muss in einer planungsrechtlichen Festsetzung in einem der Öffentlich­keit vorzustellenden städtebaulichen Vertrag mit dem Investor vor Satzungsbeschluss festgelegt werden, wie es in der Öffentlichkeitsveranstaltung am 25.02.2015 von Herrn Henrich vorgeschlagen wurde.
Verkehr / Lärm

Durch die neuen Bewohner mit ihren Fahrzeugen entsteht ein hohes Maß an zusätzlichem PKW-Verkehr, sowohl auf den umgebenden Straßen als auch auf dem Gelände selbst.

Die Zuwegung des Gleisdreiecks soll über den unteren Aulweg erfolgen, was im Kreuzungsbereich Schiffenberger Weg, wo schon heute im Bereich der Bahnquerung lange Schlangen entstehen, enorme Schwierigkeiten hervorrufen wird.

Fahrzeuge, die das Gleisdreieck verlassen und eigentlich gleich nach links in Richtung Schiffenberger Weg fahren wollen, werden in Stoßzeiten lange warten müssen, schließlich ausweichend nach rechts abbiegen und weiter oberhalb mit Wendemanövern chaotische Zustände hervorrufen. Ganz abgesehen davon, dass es schon ambitioniert genug ist, jeden Morgen und jeden Abend den aus den 140 – 160 Wohnungen resul­tierenden Berufsverkehr zum Teil gleichzeitig mit dem Zubringerverkehr der Kindertagesstätte geordnet über das Gelände auf die bzw. von der Straße zu bringen.

Nicht berücksichtigt in den Verkehrsprognosen wurde das zusätzliche und zeitgleich entstehende Ver­kehrsaufkommen durch die zukünftigen Bewohner der neuen Wohnanlage auf dem ehemaligen Poppe-Gelände mit weiteren 80 Wohnungen, von den neuen Nutzungen am Leihgesterner Weg rund um das Fraunhofer Institut ganz zu schweigen. Hier kommen zusätzliche bedeutende Verkehre auf den Aulweg zu.

 

Forderungen Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Es ist eine neue Verkehrsanalyse unter Einbezug der neuen Nutzungen am oberen Aulweg und Leihgesterner Weg als Grundlage der Umgestaltung des Aulwegs zu erstellen.
  • Die Ampelschaltungen im Schiffenberger Weg müssen neu geplant und synchronisiert werden, damit der stark zunehmende Verkehr vernünftig fließen kann.
  • Der Aulweg ist entsprechend neu zu gestalten, damit das zusätzliche Verkehrsaufkommen aufgenom­men werden kann. Diese Gestaltung der Verkehrsfläche (inkl. Einrichtung der Erschließung) wird erst durch die verschiedenen neuen Nutzungen nötig, so dass auch die Kosten allein von diesen zu tragen sind, keinesfalls jedoch von den Altanwohnern. Diese Begleitkosten der Stadtverdichtung sind genau der Grund, warum der Masterplan für Gießen eben nicht das Modell „Kompakte Stadt“ empfohlen hat!

Von den Fahrzeugen, die auf das Gelände auffahren, sollen die meisten bis zum Parkhaus am hintersten Ende des Dreiecks fahren und dort parken. Die Gebäude 4 und 5 sind mit dem Auto nur über die wahr­scheinlich mit Rasengittersteinen gestalteten Feuerwehrzufahrten zu erreichen, so dass die Bewohner praktisch den weitestmöglichen Weg von der Grundstückszufahrt am Aulweg bis zu ihrer Haustür zurück­legen müssen. Die Bewohner dürfen an ihrer Haustür nur kurz den Einkauf ausladen, müssen dann wen­den und zu ihren Stellplätzen im Parkhaus fahren. Unkonventionelle Zwischenstopps auf dem Gelände bzw. der Parkhauszuwegung sind vorprogrammiert. Dieses Verkehrskonzept erscheint uns nicht alltags­tauglich. Auch alle anderen geprüften Varianten der Parkhaus-Positionierung haben unbefriedigende Ergebnisse geliefert.

Auch unter dem Gesichtspunkt Lärm sind die (im Lärmgutachten prognostizierten) zusätzlichen 1.600 Verkehrsbewegungen pro Tag problematisch. Dies sind Bewegungen, die auf dem Gelände zwischen den Bahngleisen entweder beginnen oder enden. Das heißt wiederum, dass jede dieser Bewegungen mit mindestens einem Autotüren-Schlagen verbunden ist. So ist von einer dauerhaften Lärmbelastung auch des Umfeldes auszugehen, sowohl was den Verkehr zum und vom Parkhaus als auch innerhalb desselben betrifft. Allein das viele Türen-Schlagen innerhalb und außerhalb des Parkhauses hat nicht mehr den Charakter eines Einzelereignisses im Sinne einer einzelnen kurzzeitigen Pegelspitze.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Die PKW der Bewohner sind ausschließlich unterirdisch unterzubringen. Da ohnehin das gesamte Ge­lände vor der Neubebauung eingeebnet wird, ist die Anlage eines großen Tiefgaragenkomplexes auf der gesamten Fläche gut möglich. Die Zufahrt zu diesem erfolgt direkt vom Aulweg her. Aus der Tief­garage führen Aufzüge in die einzelnen Wohnblocks. Lediglich für den Kindergarten, die geplante Gastronomie und die Besucher werden einige oberirdische Stellplätze in Richtung Aulweg eingerichtet (ähnlich wie in der jetzigen Planung). Die übrigen Gebäude können durch den Zugewinn an Fläche mit größeren Abständen voneinander errichtet werden.

Desweiteren sind die Geräusche des Bahnverkehrs zu berücksichtigen. Der Schall der Züge wird zukünftig von den neuen Gebäuden reflektiert werden. Das von Depant in Auftrag gegebene Schallgutachten be­rücksichtigt vor allem die Belange der neuen Bewohner des Gleisdreiecks, aber nicht die der bereits Ansässigen an Riegelpfad und Gnauthstraße.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Ein erweitertes Lärmgutachten für die gesamte Umgebung (Geviert mindestens Schiffenber­ger Weg, Aulweg, Liebigstraße, Ebelstraße / Stephanstraße) ist zu erstellen, da in der dichten Bebauung vermut­lich mit echo-artigen Effekten gerechnet werden muss.

Der Vergleich der Lärmpegel vor und nach der Neu-Bebauung des ehemaligen RKH-Geländes ist nur möglich, wenn jetzt ein Ist-Zustand festgehalten wird.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Vor Beginn der Bautätigkeiten muss der Ist-Zustand durch eine adäquate Messreihe an mehr als den bisher untersuchten Messpunkten zu verschiedenen Tageszeiten (inkl. Zugdurchfahrten) an verschie­denen Wochentagen ermittelt und als Referenz-Zustand festgehalten werden. Nur so lassen sich nachher die Prognosen auch überprüfen und entsprechende Nachbesserungen einleiten.

 

2.     Städtebauliche Gestaltung / Einbezug der Umgebung

Der Verein Lebenswertes Gießen e.V. begrüßt, dass der Forderung nach einem 3D-Modell für das Baugebiet nachgekommen wurde. Das Modell zeigt wie schon vorher vermutet, dass die geplanten Höhen der neuen Gebäude nicht zwischen der Höhe der Riegelpfad-Bebauung und der der wesentlich tiefer gelegenen Gnauth­straße vermitteln. Selbst bei dem gegenübergelegenen, höchstverdichteten Gelände Heyligenstaedt-Parkplatz hat man zumindest das vorderste Gebäude ein Stockwerk niedriger ausgeführt, um die Wohnanlage nicht so massiv wirken zu lassen. Das nach den jetzigen Plänen neu bebaute RKH-Gelände wird mit seiner Blockrand-Bebauung hingegen wie eine sich nach außen abschottende Trutzburg wirken, deren angenehme Innengestal­tung den neuen Bewohnern vorbehalten ist. Diese Struktur verhindert, dass sich alte und neue Bewohnerschaft im Quartier vermischen, zumal öffentlichen Plätze in der Nähe komplett fehlen.

Das neue Quartier liegt zwischen den denkmalgeschützten Gesamtanlagen X (Gnauthstraße), XI (Wohnhof Aulweg) und IX (Universitätsviertel). Innerhalb der letzteren sind die Häuser Riegelpfad 76, 84 und 88 – 100 Einzeldenkmäler. Diese alten Quartiere werden durch die massive Bauweise der neuen Siedlung „erdrückt“. Bei der Gnauthstraße sind außerdem die Nutzgärten ausdrücklich in den Denkmalschutz mit einbezogen. Da sie in Richtung Süden ausgerichtet sind, werden sie durch die neuen Gebäude stark verschattet, was ihre Funktion einschränkt. Stark verschattet werden zumindest im Winter auch die Erdgeschosswohnungen in der Gnauth­straße, wie die den Unterlagen beigefügte Verschattungsstudie zeigt. Die Anwohner des Riegelpfades beobach­ten übrigens tagtäglich jetzt schon ein wesentlich ungünstigeres Verschattungs-Szenario für die Gnauthstraßen-Häuser als es die Verschattungsstudie prognostiziert.

Forderung Lebenswertes Gießen e.V.:

  • Die Höhen der geplanten Gebäude sind um jeweils ein Geschoss zu reduzieren. Dies würde der Topografie des Geländes entsprechen und sich auch angemessen in den Bestand (ringsum 2 – 3 Vollgeschosse + evtl. Dach-/ Staffelgeschoss, vgl. die Beschreibung in der Begründung Kap. 5.2) einordnen.
  • Die Blockrandbebauung ist stärker aufzulockern.
  • Der Abstand der Neubebauung zur Gnauthstraße hin ist zu vergrößern.

 

3.     Abschließende Bemerkung:

Die Begründung des Bebauungsplanes geht in Kapitel 4 (leider hat die Ausführung keine Seitenzahlen) von „dringend benötigtem Wohnraum“ aus. Diese Behauptung zweifeln wir angesichts der noch zu einem beacht­lichen Teil leer stehenden Neubauten auf dem ehemaligen Heyligenstaedt-Gelände gegenüber stark an. In allen zuletzt veröffentlichen Studien wurde darauf hingewiesen, dass in Gießen vor allem preiswerter Wohnraum fehlt, nicht aber Wohnungen in dem hier angestrebten Preissegment. Auch vor diesem Hintergrund ist der ge­plante Grad der Verdichtung nicht gerechtfertigt.

Darüber hinaus hat eine erste Überprüfung und Bewertung der Bevölkerungszahlen der letzten 10 Jahre (durch die Stadt Gießen sowie das Hessische Landesamt für Statistik) durch Lebenswertes Gießen e. V. – insbeson­dere unter zusätzlicher Berücksichtigung der weiteren B-Pläne mit Wohnbebauung wie dem Poppe-Areal, der Bergkaserne, dem Güterbahnhof etc. – die Vermutung bestärkt, dass das in Bezug auf den Wohnraumbedarf relevante Wachstum in der Stadt tendenziell überschätzt wird.

Es ist äußerst bedauerlich, dass die Stadt Gießen beim ehemaligen RKH-Gelände die Gelegenheit versäumt hat, ein gut funktionierendes Quartier durch ein an die denkmalgeschützte Nachbarbebauung angepasstes neues Baugebiet noch weiter aufzuwerten. Eine Wohnanlage mit optisch ansprechenden, nicht zu hohen und z.B. nach außen abgestuften Gebäudekörpern, die sich zumindest zum Aulweg hin geöffnet hätte, die auch die Altanwohner in das neue Quartier eingeladen hätte mit gemeinsam zu nutzenden Grün- und Begegnungs­flächen, wäre auf eine große Akzeptanz der gesamten Nachbarschaft gestoßen.

Am Beispiel der Gnauthstraße lässt sich ablesen, wie die bisherigen Anwohner die Neubebauung empfinden müssen: Ihre Wohnungen werden dunkler, und an die nun stark verschatteten Gärten schließt sich hinter den Bahngleisen eine weitere Straße an mit sicherlich 1000 Verkehrsbewegungen pro Tag samt den Begleiterschei­nungen Lärm und Abgasen. An dieser Straße entlang werden nach den Plänen des Architekten PKW-Stellplät­ze und Müllcontainer positioniert. Da die Ausfahrtsituation zum Aulweg hin wie oben geschildert problematisch ist, wird es regelmäßig zu Rückstaus auf dieser Privatstraße kommen, mit laufenden Motoren. Vor dem Hinter­grund all dieser Zusammenhänge wirkt es befremdlich, dass die städtische Wohnbau Gießen GmbH als Besit­zerin der Häuser bisher – obwohl sie von Mietern deswegen kontaktiert wurde – offenbar nichts unternommen hat, um in dieser Angelegenheit die Interessen ihrer Mieter zu schützen.

 

 

Gießen, den 15.05.2015

 

Lebenswertes Gießen e.V.