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Bürgerbeteiligung Wir in der Presse

Poppe-Nachfolgenutzung: Bürger fordern Mitspracherecht (Gießener Anzeiger 27.8.2011)

(fod). Es ist ein Ort von großer stadtgeschichtlicher Bedeutung. Und auch voller Tragik. Denn als am 6. Dezember 1944 Gießen von Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde, kamen alleine hier über 100 Menschen zu Tode. Die zwischen Bäumen zu findenden steinernen Überreste des sogenannten Poppe-Kellers auf dem Gelände der Firma Poppe im Leihgesterner Weg legen Zeugnis ab von einem der schlimmsten Ereignisse in der Geschichte Gießens. Nachdem das Unternehmen jüngst beschlossen hat, seine dortigen Produktionsstätten zu verlegen und das Grundstück zu verkaufen, sind Einwohner des Südviertels in Sorge, was aus dem Gelände wird.

Ausgehend vom Verein Lebenswertes Gießen haben sich daher einige Personen in einer Initiative zusammengefunden und fordern ein Mitspracherecht bei der künftigen Gestaltung. Am kommenden Dienstag geht man erstmals groß in die Öffentlichkeit und lädt um 19.30 Uhr zu einer Vereinssitzung in den Gemeindesaal der Petruskirche (Wartweg 9) ein.

„Bisher haben wir uns nur in kleinem Rahmen ausgetauscht. Von der Veranstaltung erhoffen wir uns wichtige Impulse für den weiteren Prozess“, formuliert Vorsitzender Lutz Hiestermann die Erwartungen. Zudem möchte man möglichst viele Mitbewohner des Südviertels, aber auch andere Interessierte über den aktuellen Stand informieren. Dass die Zukunft der historischen Stätte vielen am Herzen liegt, belegt schon die enorme Resonanz der von der Tourist-Information am 11. September, dem Tag des offenen Denkmals, angebotenen zwei Führungen mit Zeitzeugen zum Poppe-Keller. Beide sind bereits ausgebucht. Und für einen eventuellen dritten Termin existiert bereits eine Warteliste.

Was auf dem Gelände einmal entstehen wird, ist bislang unklar. Denn es existiert noch kein Entschließungsbeschluss, der Voraussetzung für eine Bebauungsplanung ist. „Wir sind kein Gegen-Verein und gehen offen auf die Sache zu“, macht Martin Schambeck deutlich. Doch wolle man „möglichst rechtzeitig informiert werden“, sagt Thomas Hilbrich, „bevor Fakten geschaffen sind“. Denn es soll „nichts entstehen, was das Gesicht unseres Viertels vollkommen verändern würde“, betont Schambeck. Gleichwohl ist Lutz Hiestermann bewusst, dass es sich bei dem Gelände um ein „Filetstück im Südviertel“ handelt, das Begehrlichkeiten von Investoren weckt. Die dann auch den Bereich des Poppe-Kellers überbauen könnten, da dieser „nicht im denkmalgeschützten Bereich liegt“, der von der Villa den Park abwärts führe, wie Susanne Trautwein-Keller erläutert.

Für den Bereich um die Kellerruine wünschen sich die Vereinsmitglieder eine Bebauung, die dessen geschichtlicher und menschlicher Bedeutung gerecht wird. Martin Schambeck schlägt die Schaffung eines „Ortes der Begegnung“ vor, an dem an die Schrecken der Bombenangriffe und die Folgen des Nationalsozialismus in Gießen erinnert wird. „Eine Stelle, an der das Drama des 6. Dezember 1944 erfahrbar wird“, sagt Lutz Hiestermann. Laut Barbara Haderer leben im Südviertel heute viele Nachfahren von Menschen, die im eigentlich nicht als Luftschutzraum geeigneten Poppe-Keller zu Tode kamen. „Es gibt Mutmaßungen mancher Zeitzeugen, dass noch Leichen darin liegen“, berichtet Susanne Trautwein-Keller. Denn das Gewölbe sei damals nach den Bergungsarbeiten „zugeschüttet worden“, weiß Barbara Haderer.